Geht es um dieses Land, wird mit Superlativen nur so um sich geworfen: Die freundlichsten Menschen, die hübschesten Frauen, das angenehmste Klima, die beste Musik, die schönste Landschaft und das leckerste Essen. Wenn man den Reisebekanntschaften Glauben schenkt, handelt es sich um das schönste Land Südamerikas: Kolumbien. Aber es ist nicht alles Gold was glänzt. Ich habe Kolumbien als ein Land voller Zwiespälte wahrgenommen.
Das Kokain und die Sicherheit
Auch wenn sich Kolumbien zur Zeit von den destruktiven Drogen- und Guerilla-Kriegen der letzten sechzig Jahre spürbar erholt und sich selbst als übertrieben sicher bezeichnet (Aktueller Slogan der Tourismus-Kampagne: „Das einzige Risiko ist, dass du bleiben willst.“) spürt man dennoch wie lukrativ der Narcotrafico, das Drogengeschäft, für die Bevölkerung ist. Besonders in der Karibik-Stadt Cartagena [sprich: Karta-chee-na], reisen Horden von Touristen nur aus diesem Grund an. Denn in Cartagena kommt man leichter an Koks und Nutten als in Amsterdam an Gras (und auch an Gras kommt man einfacher als in Amsterdam).
In den ersten Tagen bin ich in der Altstadt an nahezu jeder Straßenecke von äußerst freundlichen jungen Männern angesprochen worden. Das Gespräch läuft immer genau nach folgendem Schema ab:
Kolumbianer, im Akzent der für die Karibik so typisch ist: „Eeeey my frrriend! Wherre u frrom?“ [dt: „Hey, mein Freund, wo kommst du her?“]
Ich, auf spanisch: „Alemania.“ [dt: „Deutschland.“]
Kolumbianer, überlegt kurz, strahlt und antwortet – auf deutsch: „Alles Paletti, my frrriend???“
Ich, auch auf deutsch: „Alles paletti. Danke der Nachfrage! Und wie geht’s dir so?“
Kolumbianer, entweder auf englisch oder spanisch: „Welcome to Colombia, my frrriend! U lookin fo‘ somet’ing? U know, I have ev’ryti’ng! Lookin‘ fo‘ di weed stuff? Da white stuff? Da chicas?“ [dt: „Willkommen in Kolumbien, mein Freund! Suchst du etwas? Weißt du, ich habe alles! Suchst du Gras? Das „weiße Zeug“? Mädchen?“]
Ich: „No, gracias!“ [dt: „Nein, danke!“]
Kolumbianer: „Okay, man, no problem! If u need somet’ing, I have ev’ryti’ng! See ya!“ [dt: „Okay, kein Problem! Wenn du was brauchst, ich hab alles. Wir sehen uns!“]
An der nächsten Straßenecke wiederholt sich dann das ganze Spiel. Nach ein paar Tagen wurde es interessanterweise weniger. Vielleicht weil mich alle schon kannten oder weil ich langsam brauner wurde? Naja, Klischee „Kokain“ hat sich bestätigt.
Die Freundlichkeit
Ich möchte hier nochmals betonen, dass es niemals einen Grund zur Beunruhigung gab, denn die Höflichkeit und Freundlichkeit der Kolumbianer kennt wirklich kein Ende. Wenn ich wirklich auf der Suche nach etwas war – ein Restaurant, ein Supermarkt, ein Klamottenladen – habe ich auf die Frage „U lookin‘ fo‘ somet’ing?“ immer ehrlich geantwortet woraufhin die Kolumbianer es in Sachen Freundlichkeit auf die Spitze trieben: Wenn du einen Kolumbianer nach dem Weg fragst, erklärt er dir nicht einfach den Weg – er lässt alles stehen und liegen und bringt dich hin! Klischee „Freundliche Menschen“ somit bestätigt.
Und während ich mit meinem Drogendealer von der Ecke so durch die Stadt schlendere, können wir auch mal über weniger wichtige Dinge als Koks und Nutten reden. Zuerst geht es in der Regel um Fussball. „Bayer München oder Dortmund?“ wollen die meisten so kurz vor dem Champions-League-Finale wissen. Meine Präferenz für den BVB stößt leider meist auf Unverständnis. Auf dem Weg zu meinem Wunschziel – einem Laden, der nur weiße Kleider verkauft (er hat ja gesagt, er könne mir alles beschaffen) – verrät er mir, dass er es cool findet, wenn junge Leute sein Land besuchen und nicht nur auf Kokain und Prostitution aus sind. Seine Kunden kann er eigentlich nicht leiden. Er lebe zwar davon, aber er habe nun mal keine Alternativen. Trotzdem verabschiedet er sich mit einem „falls du noch was brauchst, weißt du, wo du mich findest!“
Die Schönheit
Auf der Suche nach dem Kleiderladen war ich übrigens, weil ich vor hatte, ein schönes Kleid zu kaufen (natürlich nicht für mich). In Kolumbien gibt es nämlich sehr schmeichelhafte Kleider, was wohl daher rührt, dass weibliche Schönheit in Kolumbien einen extrem hohen Stellenwert hat. Der Gen-Mix aus Ureinwohnern, europäischen Besetzern, arabischen Händlern und afrikanischen Sklaven hat dazu geführt, dass es schöne Frauen gibt, wohin das Auge schweift. Am Strand oder in Cafés, beim Bummel durch die Cartagenas Altstadt oder Bogotás Finanzdistrikt, beim Busfahren und im Flughafen – überall kommt man sich vor, als hätte man Backstage-Karten bei einer Fashion Week.
Der hohe Konkurrenzdruck der Colombianas lässt auch den ein oder anderen Geschäftszweig stärker erblühen als dies in anderen Ländern üblich ist. Kolumbien gilt als das weltweite Zentrum für Schönheitsoperationen. Die Kosten liegen übrigens bei etwa einem Drittel von denen in Deutschland – der Preis wird halt von Angebot und Nachfrage bestimmt. Und von beidem gibt es reichlich. Ich habe mir berichten lassen, dass in den Städten oft mehr als die Hälfte der kolumbianischen Mädchen einer Schulklasse noch vor dem Abschluss eine Brustvergrößerung durchführen lässt. Das ist aber ohnehin ein alter Hut hier. Man diskutiert viel lieber über Po-Implantate und die Po-Push-Up-Unterwäsche, die es überall zu kaufen gibt. Sehr zu meiner Erheiterung. In Cartagena war es übrigens auch, wo ich erleben durfte, dass es dank solcher Hilfsmittel wirklich Ärsche gibt, auf denen man Bierdosen abstellen kann. Aber das führt hier zu weit…
Da viele Kolumbianerinnen ein besseres Leben haben möchten, als Kolumbien es ihrer Meinung nach biete könne, sehen sie eine solche Operationen auch als Investition in sich selbst. Und um eine entsprechende Anlagenrendite (ROI) zu erhalten sind sie deshalb auf der Suche nach einem reichen Europäer/Amerikaner, der sie für einen Abend oder auch ein Leben lang ernährt.
Und als ob das Aussuchen eines Kleides für eine Dame, die nicht anwesend ist, nicht schon schwer genug wäre, ist es um so komplizierter in einem Land in dem Brustvergrößerungen alltäglich sind. Dies wirkt sich nämlich nicht nur auf einen unnatürlichen Schnitt der Kleider aus, sondern auch auf die üppigen Proportionen der Schaufenster-Puppen, die man in Ermangelung der Dame zur Anprobe verwendet.
Das Essen
Zu den größten Vergnügen auf Reisen in fremde Länder gehört es, die typischen Gerichte, neue Früchte und manchmal auch Tiere auszuprobieren. Kolumbianisches Essen wurde sogar von Peruanern gelobt. Und das will was heißen.
Aber auch beim Essen gibt es beide Extreme: auf der einen Seite die bekannteste Beilage, Arepa (ein geschmackloser Fladen aus Maismehl) manchmal furztrocken, manchmal triefend fettig, aber wirklich nie mit Geschmack. Auf der anderen Seite Arroz con Coco (Reis, der mit Kokosmilch und Karamel angebraten wird), den ich kiloweise verschlingen könnte. Eigentlich immer gelungen sind die diversen Fischgerichte. Auch die Empanada (die ja insgeheim mein einziges Bewertungskriterium ist, nach dem ich die Länder Südamerikas bewerte) gibt es von „völlig ungenießbar“ bis „mega-lecker-gib-mir-noch-mehr“! Lecker auch die gebratenen Bananen als Beilage.
Ob Fleischspieße oder gebratene Kartoffelbällchen – das Essen der Straßenverkäufer ist das beste Streetfood, das ich bisher probiert habe.Weniger lecker dagegen ist ein Snack namens gebratene und gesalzene Ameisen. Auf meine Frage, ob es die auch kandiert gäbe erntete ich nur ungläubige Blicke nach dem Motto „Guckt euch mal den Freak an, der seine Ameisen gezuckert essen will! Wie eklig!“ Davon hab ich auch übrigens noch welche zu Hause, falls jemand kosten will.
Die zwei besten Sachen sind allerdings in der Kategorie Getränke einzuordnen. Kolumbien hat den mit Abstand besten Kaffee. Nach Kolumbien schmeckt in Deutschland einfach alles wie braunes Wurstwasser. Seinen Kaffee trinkt der Kolumbianer übrigens nicht bei Starbucks, sondern bei einem Schnurrbart tragenden, eselreitenden Kaffeefarmer namens Juan Valdéz. Ich behaupte es ist nur eine Frage der Zeit bis auch in Deutschland die ersten Filialen aufmachen und bärtige, braungebrannte apokalyptische Eselreiter durch die Straßen galoppieren um die Kaffee-Herrschaft an sich zu reißen und den Leuten beibringen, dass Zimt im Kaffee verdammt nochmal saugeil schmeckt.
Da man bei 40°C im Schatten aber nicht nur Kaffee trinkt, kommen wir zu den Früchte und deren Säfte. Die Früchte sind bunter, geschmackvoller, größer und vielfältiger als in Europa. Man könnte Monate damit verbringen jeden Tag einen anderen Fruchtsaft zu trinken. Zum Beispiel Mora oder Lulo oder Pitahaya. Allesamt eröffnen einem eine neue Geschmackswelt, die man in Deutschland höchstes als exotische Duftvarianten von Damen-Shampoos kennen lernen wird. Auch die Früchte, die man zuhause kennt sind größer und leckerer. Avocados sind so groß wie Fußbälle, aber hundert Mal so lecker. Und wo wir schon bei Getränken sind: anders als zum Beispiel in Brasilien oder Peru, kann man kolumbianisches Bier getrost vergessen. Achja, und lasst die Finger von Bogotás Stolz, dem Canelazo (heißes Zuckerrohrwasser mit Anisschnaps und Zimt)! „Guacala!“ Wie man hier sagt [dt: widerlich].
Auch wenn die kolumbianischen Gerichte wirklich ausgesprochen gut waren, kann Kolumbien nicht mit Peru mithalten. Das weltbeste Essen ist es also nicht. Klischee „Leckeres Essen“ sehe ich dennoch als bestätigt.
El fin
Sämtliche Schwärmereien und Klischees über Kolumbien haben sich also irgendwie bestätigt. Oft jedoch mit einem sauren Beigeschmack. Ohne Nebenwirkung jedoch ist die umwerfende Herzlichkeit, unbändige Fröhlichkeit und umwerfende Freundlichkeit der Kolumbianer. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass hier so ziemlich jeder jemanden in der Familie hatte, der in den letzten 20 Jahren erschossen wurde.
Es ist halt nicht alles Gold was glänzt in Kolumbien. Aber Vieles ist es doch.
Anmerkung: Auf Fotos muss der Leser in diesem Bericht weitgehend verzichten, da ich nicht nicht das Risiko eingehen wollte beim versteckten Fotografieren von Drogendealern oder schönen Frauen entdeckt zu werden. Damit ihr aber nicht ganz leer ausgeht hier ein paar…