West Coast III – Highway One Road Trip

Kaliforniens State Highway Number 1 gilt als eine der schönsten Straßen der Welt und ist für mich Inbegriff des Road Trips. Als Teil der Panamericana (Feuerland bis Alaska) führt der Highway meist auf kurvigen Straßen entlang der Pazifikküste. Dabei passiert er so unbedeutende Städte wie San Francisco, Los Angeles und San Diego und so epische Nationalparks wie den Redwood Forest. Seit ich ein kleines Kind war, war es mein Traum einmal auf dieser Straße zu fahren. Endlich wird er wahr. Und verliert nichts von seiner Traumhaftigkeit.

Roadtrippin’ with my to favourite allies
Fully loaded we got snacks and supplies
It’s time to leave this town
It’s time to steal away
Let’s go get lost
anywhere in the USA

– aus “Road Trippin’” von den Red Hot Chili Peppers

Der Roadtrip war eine willkommene Lösung um dem spontanen Mangel an Schlafmöglichkeiten zu entkommen. Dank des Shutdowns in den USA waren sämtliche Nationalparks und die sich darin befindlichen Hostels und Campingplätze bis auf weiteres geschlossen. Auch das Hostel, das ich in San Francisco gebucht hatte, gehörte dazu. Somit komme ich endlich auch dazu, etwas von der Landschaft der Westküste zu sehen. In Seattle und Portland war es aufgrund des Dauerregens schon ein Überwindung überhaupt das Haus (beziehungsweise den Coffeeshop) zu verlassen.

Tag 1 – Silicon Valley, Santa Cruz

Vom Flughafen San Francisco aus ging es direkt los auf den Interstate 101, dem Highway durch das Silicon Valley. Spätestens seit der Lektüre von Steve Jobs‘ Biographie war ich fasziniert davon, wie sämtliche führenden IT- und Softwarefirmen hier in enger Nachbarschaft leben. Vorbei an Evernote, Oracle und Opera und dem Stanford Campus fahre ich über Palo Alto, wo HP und Facebook ihren Sitz haben, nach Mountain View, das zum Großteil aus dem Google Campus besteht (Anmerkung: Manche Geschichten sind für den engeren Freundeskreis vorbehalten).

Bei Google in Mountain View

Bei Google in Mountain View

Nach einem Mittagessen decke ich mich in meinem Lieblingssupermarkt Trader Joe‘s in Sunnyvale mit allem einem, was ich so auf meinem Road-Trip brauche. Die Kunden scheinen größtenteils aus Googlern zu bestehen. Auf dem Weg Richtung Süden komme ich noch an der NASA, Intel und Seagate vorbei und halte in Cupertino kurz an den Gebäuden mit der Anschrift „1 Infinite Loop“ [dt. Endlosschleife 1] – Apple Computers.

Apples Firmensitz in Cupertino

Apples Firmensitz in Cupertino

Am Strand von Santa Cruz, unter Surfern bekannt für gute Wellen, tanke ich erstmal. Nicht das Auto; sondern Kaffee. Dank Seattle hab ich mittlerweile eine mittelschwere Koffeinsucht entwickelt. Endlich beginnt die Reise entlang der Küste. Die Aussicht in den nächsten Stunden Fahrt ist atemberaubend, soll aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf das sein, was mich die nächsten zwei Tage noch erwartet.

Highway 1 - Ein kleiner Vorgeschmack

Highway 1 – Ein kleiner Vorgeschmack

Da sich entlang des Highways so ziemlich alle Unterkünfte in den geschlossenen Nationalparks befinden, schlafe ich die Nacht in meinem Auto auf einem Wanderparkplatz direkt neben einem Fluss namens Big Sur.

Tag 2 – Big Sur

In Big Sur we take some time to linger on.

– aus „Road Trippin'“ von den Red Hot Chili Peppers

Trotz des Temperatursturzes von 35°C am Tag auf 10°C in der Nacht war die Nacht im Auto erstaunlich gemütlich und dazu noch kostenlos.

Guten Morgen, Big Sur (Pfeiffer Beach)

Guten Morgen, Big Sur (Pfeiffer Beach)

Früh morgens mache ich mich auf zum nahen Strand. Auf dem Trampelpfad dorthin höre ich aus einem Busch seltsame Geräusche von einem Tier, dem es offensichtlich egal ist, entdeckt zu werden. Ich beobachte eine Weile das zappelnde Steppengras bis ich irgendwann ein etwa hundegroßes kräftiges hellbraunes Tier davon rennen sehe. Fünf Minuten später passiere ich ein Schild „Keep your children close. Mountain lions have been spotted in this area.“ – Berglöwen wurden also in dieser Gegend gesichtet. Gut, dass ich kinderlos unterwegs bin. Denn scheinbar sind hier schon menschliche Jungtiere gerissen worden.

Fischer zum Sonnenaufgang in Big Sur

Fischer zum Sonnenaufgang in Big Sur

Bis auf zwei Fischer habe ich die Bucht für mich alleine. Vom Strand führt ein Pfad entlang über die steilen Klippen. Eigentlich hatte ich ja nicht vor zu wandern, aber der Wanderweg lädt förmlich dazu ein. Ich schlendere ein paar Stunden durch Sanddünen und trockenes Steppengras, das von der erbarmungslosen Sonne versengt wurde, mache einen kurzen Abstecher über eine Geröllfeld aus Treibholz an einen einsamen Strand. Bis mir auf einem Berg das Wasser ausgeht. Ich drehe um, in der Hoffnung nicht zu dehydrieren. Nicht unberechtigt. Auf dem letzten Kilometer machen sich langsam Kopfschmerzen und Schwindel bemerkbar. Ich schleppe mich zum Auto und trinke zweieinhalb Liter Wasser. Nach einem Nickerchen auf dem Rücksitz geht es mir wieder besser.

Wandern in Big Sur

Wandern in Big Sur

Die Küste in Big Sur

Die Küste in Big Sur

Meine Suche nach eine der Dusche auf dem Campingplatz nebenan bleibt erfolglos, weshalb ich im eiskalten Big Sur bade.

Die wahre Panoramastraße beginnt erst hinter Big Sur. Den Rest des Tages verbringe ich damit voller Ehrfurcht und Erstaunen Auto zu fahren. Ungefähr alle Viertelmeile halte ich an, um die Aussicht über die Küste zu genießen und zu fotografieren. Irgendwann verfliegt sogar die Angst vor dem Abgrund, der dauerhaft am Fahrbahnrand lauert. Teilweise geht es ein- bis zweihundert Meter in die Tiefe bevor die Wellen in die schroffe Brandung donnern und mit weißer Gischt um sich werfen. Wer hier im Straßengraben landet, dem hilft auch keine ADAC-Mitgliedschaft mehr. Noch bin ich unwissend, dass solche Straßen in wenigen Wochen schon zur Normalität für mich geworden sein werden (man feire den ersten Gebrauch des Futur II im Reisetagebuch).

Reisebegleiter Cuddles navigiert besser als das 80er-Jahre-Navi

Reisebegleiter Cuddles navigiert besser als das 80er-Jahre-Navi

Meine Karre bei Sonnenuntergang

Meine Karre bei Sonnenuntergang

Während die Sonne in den schönsten Farben im Meer versinkt gehe ich wiederwollend vom Gas um einen Schlafplatz zu suchen. Von zwei völlig breiten Typen (alles legal in Kalifornien), die irgendwo im Nirgendwo entlang des Highways einen Surfspot gefunden haben, bekomme ich einen Tipp der Gold wert ist: Ich fahre vom Highway ab. Ein Rudel Rehe läuft gelangweilt vor meinem Auto über die Straße. Ein paar Meter neben dem Highway stelle ich mein Auto ab. Ich schnappe mir ein gutes Blue Moon Bier (aus Portland!), setze mich auf einen Felsvorsprung über dem Highway. Und während unter mir die Lichtkegel der Mustangs langsam der Nacht entgegen fahren höre ich Cluesos „Stern“, eines meiner Titellieder für die Reise, in Endlosschleife und schau mir den wohl schönsten Sonnenuntergang meines Lebens an – in die Richtung in der sich die Insel Maui befindet, wo ich schon bald sein werde. Dieser Moment ist das gefühlsmäßige Highlight meiner bisherigen Reisen. Punkt.

Sonnenuntergang vom Schlafplatz aus

Sonnenuntergang vom Schlafplatz aus

Sonnenuntergang über dem Pazifik

Sonnenuntergang über dem Pazifik

Sonnenuntergang über dem Pazifik

Sonnenuntergang über dem Pazifik

Tag 3 – Salmon Creek, Ragged Point und zurück nach Santa Cruz

Als ich am nächsten Morgen aufbreche ist vom Ozean unter mir nichts mehr zu sehen. Obwohl hier oben die Sonne scheint, ist der Pazifik unter mir von einer dichten Wolkendecke bedeckt. Ich bin mir nicht ganz sicher ob ich nicht gestern doch über eine Klippe gestürzt bin und jetzt im Himmel bin. Dieser Anblick ist unglaublich. Plötzlich bin ich nicht mehr nur am Ende des amerikanischen Festlandes sondern scheinbar am Ende der Welt.

Sonnenaufgang vom Schlafplatz aus

Sonnenaufgang vom Schlafplatz aus

Gerade mal eine Meile vom Schlafplatz entfernt halte ich am Salmon Creek. Ich bin auf der Suche nach eine Waschmöglichkeit. Was ich vorfinde, übertrifft meine Vorstellung bei weitem. In einem Wald, versteckt in einem Felsenmeer von Schlucht und hinter einer Höhle finde ich einen vierzig Meter hohen Wasserfall. Außer mir ist keiner da. Im eiskalten Wasser des Wasserfalls gehe ich schwimmen – besser geht es nicht.

Zufällig einen einsamen Wasserfall zum Baden gefunden

Zufällig einen einsamen Wasserfall zum Baden gefunden

In meiner Abenteuerlust klettere ich durch Höhlen, die von Felsbrocken, größer wie ein Einfamilienhaus, geformt wurden. Wie zum Geier soll ich hier jemals wieder zurückkommen? Danach geht es auf einen Berg und glücklicherweise finde ich einen Weg der mich später wieder zurückführt.

Highway 1 nahe Salmon Creek

Highway 1 nahe Salmon Creek

Tankstellen sind extrem rar auf dem Highway. Schließlich ist es schon ein paar Hundert Kilometer her, als ich zum letzten Mal ein Wohnhaus gesehen habe. Langsam wird es Zeit. Mein Ziel ist Ragged Point – ein Imbissstand mit Tankstelle und Souvenirläden. Nur mühsam geht es voran, weil ich ja ständig anhalten und Fotos schießen muss. Nach einem großen Cheeseburger und Fritten mache ich mich mit einem vollen Tank wieder zurück in Richtung Norden. Morgen früh muss ich wieder in San Francisco sein und nachts will ich auf diesem Highway nicht unbedingt fahren.

Das Ende der Welt. Leider nicht mein Auto.

Das Ende der Welt. Leider nicht mein Auto.

An einem Aussichtspunkt treffe ich Shawn, einen Obdachlosen, der ohne Geld und mit einem alten Drahtesel samt Anhänger bis nach San Diego an der mexikanischen Grenze runterfahren will. Bereits am Tag zuvor habe ich ihn überholt und mit einem Grinsen beobachtet, wie er mit seinem Gespann ein Rudel schwitzender, semi-professioneller Radler auf ihrem Carbon-Rennrad überholt und dabei feierlich ausgeheißen hat. Ein klasse Typ. Eine gute Stunde unterhalte ich mich mit ihm über sein Leben, Politik, Arbeit und die Situation der Ureinwohner (er stammt von welchen ab). Manchmal denke ich, viel unterscheidet mich nicht von ihm, außer dass ich in ein Land geboren wurde, dass nicht so gnadenlos Gewinner von Verlierern trennt und ich noch ein bisschen Geld übrig habe. Ich gebe ihm so viel Wasser mit, wie ich entbehren kann, denn das ist überlebensnotwendig hier draußen.

Zurück nach San Fran

Zurück nach San Fran

Es ist schon fast Mitternacht als ich wieder in Santa Cruz ankomme und bei meiner Suche nach einem Schlafplatz werde ich auf die Herberge einer mexikanischen Bilderbuch-Familie verwiesen. Ich bekomme ein Zimmer mit Queen-Size-Himmelbett im Haus der Familie. Als ich frage, wo ich um diese Zeit noch was zu essen herbekomme, meint Maria „Hier gibt’s schon einiges, aber das ist alles total teuer. Ich mache dir ein paar Sandwiches.“ Ich erwidere: „Darf ich Mama zu dir sagen?“ (Wer das Filmzitat als erster errät, bekommt ´nen Kuchen von mir.)

Danach mache ich noch ein Spaziergang über den Pier von Santa Cruz und schaue ein paar Seelöwen zu.

Tag 4 – Santa Cruz bis San Francisco

Die Nacht ist kurz, da ich ja um 10 Uhr das Auto in San Francisco abgeben muss. Ich stehe um 5.30 auf. Zu meinem Erstaunen ist Maria ebenfalls schon aufgestanden, um mir zum Frühstück einen extragroßen Burrito zu machen.

Obwohl ich quasi die komplette Rückfahrt im Pendlerstau stehe und das fünf Kilo schwere Navi aus den Achtzigern mich in Cupertino eine Weile im Kreis schickt, schaffe ich es das Auto rechtzeitig zurückbringen und mich im BART-Zug auf den Weg nach San Francisco zu machen.

Der Stillstand ist der Tod. Weiter geht’s.

Nachdem Dauerregen, Krankheit und schlaflose Nächte in Seattle und Portland meine Kräfte gezehrt haben, hat dieser Roadtrip meine Lebensgeister wieder voll geweckt. Neu inspiriert kann ich nun die Hauptstadt der Westküste San Francisco in Angriff nehmen. Der letzte Stopp bevor es endlich auf die hawaiianischen Inseln geht.

Davon ein andermal mehr.

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Die ganze Westküsten-Serie:

West Coast 0 – Grenzen verschieben wie Pioniere
West Coast I – Vom Regen ins Café in Seattle
West Coast II – Seltsam bleiben in Portland
West Coast III – Highway 1 Road Trip
West Coast IV – Das goldene Tor in San Francisco