Probier’s mal mit Gemütlichkeit in Misahuallí

Im Dschungel Ecuadors bewohnte ich meine eigene Hütte, schaute den Affen beim Spielen zu, aß Fische aus dem Fluss und lernte alte Wörter und Heilmittel kennen. Und es gab sogar einen schwäbischen Heimatabend.

Nachdem der Dschungel auf meiner Reise bisher wirklich zu kurz kam, wollte ich wenigstens zum Schluss noch einige Tage in der ecuadorianische Wildnis genießen.

Auf Empfehlung des rumänischen Fotografen, der mittlerweile in Baños lebt, bin ich in ein winziges Dörfchen namens Misahuallí [sprich: Misa-wa-jii] am Rio Napo gereist. Das Dorf besteht aus vielleicht dreißig Häusern und Hütten, die rings um den Dorfplatz stehen. Zwei davon haben sogar Internet. Auf dem Dorfplatz wohnt eine Affenfamilie. Meine Unterkunft war ein wenig außerhalb des Dorfes gelegen, auf einem Hügel auf der anderen Seite des Flusses.

Ich bekam eine eigene Hütte für mich allein. Vielleicht die beste Unterkunft der Reise. Gleich neben der Zimmertür und unter dem Fenster hielt jeden Abend eine mehr als handtellergroßen Vogelspinne Wache. Vor dem Eintreten habe ich mich – sehr zur Erheiterung der Einheimischen – zunächst vergewissert, ob von dieser Tarantula auch keine Gefahr ausgeht.

Direkt hinter meiner Hütte fing das Dickicht des Dschungels an, was ich nachts auch lautstark zu hören bekam. (Wer meint fernab der Zivilisation sei es „ruhig“ der irrt sich gewaltig. Affen, Puma, Grillen und andere Insekten schreien 24 Stunden um die Wette. Trotzdem besser als das Hupkonzert in Lima.)

Der viele Regen und die Abgeschiedenheit gaben mir endlich einmal Gelegenheit dazu ein wenig auszuruhen und viel Zeit mit einem guten Buch wechselweise in der Hängematte oder meiner Hütte zu verbringen und meine Gedanken zu ordnen.

Meine bescheidene Hütte

 

Pancho, der Hauspapagei

 

Tito Tarantula – meine Wachspinne

 

Another day at the office

 

Der Garten. Links meine Hütte, rechts die Gemeinschaftshütte.

 

Die Gemeinschaftshütte von innen

Mit der Besitzerin der Herberge verstand ich mich recht gut. Ihre Muttersprache ist nicht Spanisch sondern Kichwa, die Sprache der Ureinwohner (auch „Quechua“ geschrieben). Und so konnte ich noch einiges über Sprache und Kultur hier lernen. Wer Quechua bisher nur als Sportartikelhersteller kannte, der wird umso erstaunter sein, dass er eventuell auch einige Wörter verwendet, die dem Quechua entnommen sind: zum Beispiel Puma, Kondor, Alpaka oder Lama. Quinoa, Inka, Coca oder Pampa (dt. flach, eben).

Mit ihr habe ich dann auch ein Boot gemietet und bin ins nah gelegene Museum für einheimische Tiere und Pflanzen und in ein „Indianerdorf“ gefahren. Ich hätte wohl auf die Empfehlung des Rumänen hören sollen, der meinte, dass es sich hierbei größtenteils um eine Touristen-Abzocke handle. Nachdem mir der „Schamane“ für den Schnäppchenpreis von einem Dollar die bösen Geister ausgetrieben hatte, indem er mir mit seinen Marlboros Rauch ins Gesicht blies und einem Blatt wedelte, stiegen wir wieder ins Boot. In der Ferne schwamm noch eine Boa, die weltgrößte Würgeschlange, vorbei. Erstaunt, dass diese Biester auch in mitten in einem reißenden Fluss anzutreffen sind beschloss ich hier lieber nicht zu baden.

Wir begaben uns auf eine Wanderung durch den Wald zu einem angepriesenen Wasserfall. Der Weg war etwas beschwerlich da er teils aus Schlamm und teils aus, nunja… Bach bestand. Am Wasserfall angekommen war ich zugegebenermaßen etwas enttäuscht, weil ich mich doch stark an die (ebenfalls sehr schönen) Hörschbachfälle bei Murrhardt erinnert fühlte. „Warum fahr‘ ich dafür eigentlich um die halbe Welt?“ fragte ich mich.

Als ich eine Stunde später auf dem Dorfplatz saß und der Affenfamilie beim Spielen zuschaute wusste ich wieder weshalb.

Bunter Vogel

 

Der Typ sah lustiger aus mit dem Eichhörnchen auf dem Kopf. Deshalb gibt’s ein Bild von ihm und nicht von mir.

 

Hauskätzchen (Ozelot)

 

Der Wasserfall in Ecuador

 

Massage mit Wasserdruck

 

Natürliche Rutschbahn (anderthalb Meter Tief)

Eines von 350 Affenbildern

 

Was für ein Leben

Auch den letzten Abend verbrachte wieder mit meiner Lieblingsbeschäftigung, den Affen zu zuschauen, wie sie sich gegenseitig ärgern, von Baum zu Baum jagen, den Schaulustigen Nüsse aus den Taschen klauen (kein Witz) und auf den Dächern der Boote Trampolin springen. Während ich mich köstlich amüsierte und tausende Fotos schoss, parkte hinter mir ein Geländewagen mit Wohnaufbau. Vorne drauf prangte in großen Lettern „Alemania – Germany“. Das Kennzeichen: AA.

„Hey! Achtung Arschloch Aalen!“, dachte ich mir, als ich mich näherte und die aussteigenden Personen mit einem erstaunten „Ihr sen abr net von Aala do her gfahra, odr?“* begrüßte. Zugegeben, nicht ganz so kreativ wie der Typ, der die beiden auf einer einsamen Landstraße in der Atacama-Wüste in Chile überholt hatte, ein Zeichen gab das Fenster herunterzukurbeln und dann fragte „Schaffts dr VfR des Johr no ind‘ zwoite Liga?“**

Das Rentnerpaar kam aus Lorch, was ungefähr 30 Minuten von meinem Heimatort entfernt ist. Die beiden sind nach sechs Wochen auf dem Containerschiff von Buenos Aires bis hier her gefahren und hatten noch keinen Stellplatz für die Nacht. Ich nahm sie mit zu meiner Unterkunft und wir veranstalten im Wohnteil ihres Gefährts einen gemütlichen schwäbischen Heimatabend mit Kartoffelsalat, Hank Häberle und einem Viertele.

Sowas kauf ich mir auch irgendwann

Beim Kennenlernen passierte übrigens noch etwas Seltsames. Während dem Reden stellte ich plötzlich fest, dass meine Füße blutüberströmt waren. Und keiner wusste wie das passiert ist – wahrscheinlich waren es Blutegel, die es scheinbar auch außerhalb des Wassers gibt (wieder was gelernt).

Ich erzählte dem Sohn der Besitzerin, was passiert war. Er meinte, er kenne da ein Mittel dagegen. Also machten wir uns nur mit Machete und Stirnlampe bewaffnet nachts zu zweit auf durch das üppige Dickicht des Dschungels, das hinter seinem Haus begann. An jedem zweiten Baum saßen Vogelspinnen und überall sprangen Capybaras (die weltgrößten Nagetiere, so groß wie Schweine) davon. Aus dem Blatt eines Baumes und dem Dorn eines anderen fertigte er ein Gefäß. Er schlug mit der Machete mehrfach in die Rinde eines dritten Baumes und fing eine heraus triefende, braune und zähe Flüssigkeit auf, die er Sangre de Drago (dt. „Blut des Dragobaums“) nannte. Einen Tropfen davon sollte ich in den Händen verreiben und auf die Wunden geben. Und tatsächlich wurde aus der Flüssigkeit beim Verreiben eine weiße Salbe, die hervorragend gegen den Juckreiz half.

Danke, Blutegel

 

Sangre de Drago – das Heilmittel

Vom echten Dschungel ging es dann am nächsten Tag in den Großstadtdschungel der Hauptstadt Quito, aber das Abenteuer in der Natur Südamerikas war aber noch nicht ganz vorüber.


* hochdt.: „Sie sind aber nicht von Aalen bis hier gefahren, oder?“
** hochdt.: „Steigt der VfR (Aalen) dieses Jahr in die zweite Fußball-Bundesliga auf?“

Noch mehr Bilder:

Aussicht auf Misahuallí

 

Vorne der Napo, dann Dschungel, im Hintergrund die Anden

 

Tausendundeins Füße

 

Im Bananenblatt gegarter Amazonas-Fisch an gebratenen Bananen

 

Matthias „Deutsch“ Wieland. Auch lesen will gelernt sein.

 

Der Moment, an dem man realisiert, dass man vielleicht doch mal neue Schuhe braucht

 

Der Wasserfall nochmal