West Coast I – Vom Regen ins Café in Seattle

Denke ich an Seattle, muss ich unweigerlich an die zwei Flüssigkeiten denken, die meinen Aufenthalt dort bestimmt haben: Regen und Kaffee.

Angeblich hat Seattle 2013 den schönsten und regenärmsten Sommer seit Jahrzehnten erlebt. Damit war leider eine Stunde nach meiner Ankunft Schluss. Kurz nach Sonnenuntergang begann es zu schütten was das Zeug hält und es sollte bis zu meiner Abreise nicht mehr aufhören. Es schüttete so stark, dass innerhalb weniger Minuten Straßen und Parkplätze unter Wasser standen. Was man aus der Heimat als kurzen Wolkenbruch kennt, hält hier über Stunden und Tage an. Noch nie hatte ich so viel Wasser gesehen. Beim ersten Versuch die Straße zu überqueren waren meine Klamotten nach etwa 14,5 Sekunden bis auf die Unterhose komplett mit Wasser vollgesogen. Ein Zustand, der die nächste Woche anhalten sollte.

Seattle fühlte sich verdächtig wie das von Terry Pratchett beschriebene Land Llamedos an, in dem es konstant regnet. Da sich aber in der realen Welt, anders als in der fiktiven, Regen so schlecht exportieren lässt, habe sich die Seattleiten (so nennt man die Leute, die hier leben; viel Spaß beim Versuch es auszusprechen) etwas anderes einfallen lassen: Kaffee und deren Verkaufsräume.

Kaffee, Keks, ein gutes Buch und Regenjacke: Die wichtigsten Begleiter in Seattle

Kaffee, Keks, ein gutes Buch und Regenjacke: Die wichtigsten Begleiter in Seattle.

Kaffee hilft ausgezeichnet gegen die trübe Stimmung, die der Dauerregen verursacht. Am Liebsten trinkt man ihn natürlich im Trockenen. In einem gemütlichen Sessel. In Gesellschaft. Zu einem Cookie oder Bagel. Und schon hat man einen Coffeeshop, die amerikanische Variante des guten alten europäischen Kaffeehauses.

Ganz so einfach ist es jedoch nicht einen guten Coffeeshop zu eröffnen. Es ist sogar ein Fachgebiet für sich. Das gesamte Erdgeschoss von Seattle besteht aus Coffeeshops, die so unterschiedlich sind, wie die Menschen, die in der Großstadt leben. Für jeden gibt es einen Coffeeshop, der quasi auf ihn zugeschnitten ist. Und jeder Seattleit (sprich: Siättel-iht. Ich liebe dieses Wort.) hat seinen Lieblings-Coffeeshop. Meistens sogar eine ganze Liste davon. Eher selten findet sich jedoch der bekannteste Coffeeshop der Welt darunter, obwohl genau hier in Seattle der erste davon eröffnet wurde: Starbucks.

Und so bin ich also beim Erkunden der Stadt, immer wenn mit der Regen zu viel, zu kalt, oder zu frustrierend wurde, in eine vielversprechendes Kaffeelokal eingekehrt und habe mich durch das Heißgetränk meiner Wahl aufwärmen und das Koffein aufheitern lassen. Jetzt weiß ich auch was es heißt „Schlaflos in Seattle“ zu sein.

Als ich zuvor vom Erdgeschoss der Stadt sprach, war ich ein wenig unpräzise. Denn die Straßen von Seattle befinden sich eigentlich im ersten Stock. Das Stadtgebiet war zur Zeit der Pioniere so sumpfig, dass man irgendwann die Straßen ein Stockwerk nach oben verlagert hat. Weil allerdings zu viele Leute auf den darunter liegenden Gehwegen von herabfallenden Pferden erschlagen wurden (ohne Witz), und die hereinkommende Flut zu oft die Toiletten zu Springbrunnen umfunktioniert hat, entschloss man sich das unterste Stockwerk aufzugeben. Zurück blieb eine Geisterstadt unter der Stadt. Diese kann man im Rahmen der Underground Tour besichtigen. (Eingeweihte fühlen sich übrigens auch hier wieder stark an Terry Pratchett erinnert).

Der Untergrund von Seattle, das ehemalige Erdgeschoss.

Der Untergrund von Seattle, das ehemalige Erdgeschoss.

Einen Besuch wert ist der Pike Place Market, ein Labyrinth bestehend Märkten, schreienden Fischverkäufern, Feinkostläden, Bäckereien, kreativen kleinen Läden (wie zum Beispiel dem Weltkartenladen in dem ich mehr als eine Stunde verbracht habe) und dem ersten Starbucks-Coffeeshop der Welt.

Pike Place Market

Pike Place Market

Die nächsten zwei Empfehlungen sind wohl eher Geschmackssache. Neben dem Pike Place befindet sich die Gum Wall. Hier hat jemand seinen Kaugummi an eine Wand geklebt. Andere habe es nachgemacht. Tausende. Mittlerweile sind beide Wände der kleinen Gasse mit Kaugummi zugeklebt. Teilweise sogar mit kleinen Kaugummi-Kunstwerken. Ich bin gleichermaßen angewidert und fasziniert und trage natürlich meinen Beitrag zum Kollektivkunstwerk bei.

Gum Wall - eine Wand aus Kaugummi

Gum Wall – eine Wand aus Kaugummi

Gum Wall - eine Wand aus Kaugummi

Gum Wall – eine Wand aus Kaugummi. Ich leiste meinen Beitrag mit einer Mischung aus Freude und Abscheu.

Gum Wall - eine Wand aus Kaugummi

Gum Wall – eine Wand aus Kaugummi

An der Wasserfront befindet sich noch ein ganz besonders kurioser Laden: Halb Laden, halb Museum kann man im Ye Olde Curiosity Shop echte Mumien, siamesische Kälber und Küken, mexikanische Springbohnen und allerhand anderen Kram bestaunen und teilweise auch kaufen.

Die meisten Seattle-Touristen besuchen die Space Needle – einen Aussichtsturm, der das Stadtbild dominiert. Obwohl er bereits 1962 erbaut wurde kann man sein Aussehen durchaus bis heute als futuristisch beschreiben. Nachdem ich jedoch Men in Black gesehen habe und nicht das Risiko eingehen wollte „geblitzdingst“ zu werden, habe ich mir die 19 Euro (25 USD) Eintritt lieber gespart. Wer auf das Seattle Panorama nicht verzichten möchte, dem sei der höhere Columbia Tower (Eintritt 2 Euro = 3 USD) empfohlen, von dem aus man sogar die Space Needle sieht, weil man nicht gerade draufsteht.

Aussicht aus meinem Zimmer auf die Space Needle

Aussicht aus meinem Zimmer auf die Space Needle

Zwei andere schöne Optionen sind der Volunteer Park (wenn es gerade mal nicht regnet) oder eine Fährfahrt durch den Puget Sound – zum Beispiel rüber zu Bainsbridge Island, wo man in einem Fischerdorf der Hektik der Großstadt entkommen kann. Falls der Regen zu stark wird empfehle ich, sich im gemütlichen Pegasus Coffee House aufzuwärmen. Im Ernst, kein Seattle-Besuch ist vollständig ohne die Fahrt auf einer Fähre. Und dem Konsum von Kaffee…. gutem Kaffee… und viel Kaffee… während draußen der Regen prasselt als ob es kein Morgen gäbe.

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Die ganze Westküsten-Serie:

West Coast 0 – Grenzen verschieben wie Pioniere
West Coast I – Vom Regen ins Café in Seattle
West Coast II – Seltsam bleiben in Portland
West Coast III – Highway 1 Road Trip
West Coast IV – Das goldene Tor in San Francisco

Die trübe Skyline von Seattle

Die trübe Skyline von Seattle

Pike Place Market

Pike Place Market

Seattle mit Riesenrad und Space Needle

Seattle mit Riesenrad und Space Needle