West Coast IV – Das goldene Tor in San Francisco

Zwar ohne Blumen im Haar, dafür aber voller Tatendrang kam ich in San Francisco an. Jeder Kilometer, den ich auf meinem Roadtrip entlang der kalifornischen Küste zurückgelegt habe, hat das angenehm warme Feuer der Freiheit in mir geschürt. Der Höhepunkt, der hinter das Erlebte der letzten Tage ein großes Ausrufezeichen setzte, stand jedoch noch bevor.

„Money lives in New York. Power sits in Washington. Freedom sips cappuccino in a sidewalk café in San Francisco.”
– Joe Flower

Gerade wenn man schon länger unterwegs ist, viele Orte gesehen hat und weiß, wie Flugzeuge einen für bezahlbare Preise in wenigen Stunden (die man eventuell sogar noch schlafend verbringt) in ferne Länder bringen, vergisst man oft wie privilegiert man ist, in solch interessanten Zeiten zu leben. Noch vor wenigen Jahren war es für Otto Normalverbraucher die einzige Möglichkeit ein fremdes Land kennen zu lernen, als Kanonenfutter an die Ostfront geschickt zu werden. Täglich sieht man Bilder von interessanten Orten in Film, Fernsehen und Werbetafeln und trotz Neckermann-Reisen scheinen sie irgendwie so unecht und unerreichbar. Manchmal erlaubt man sich nicht einmal davon zu träumen…

Golden Gate Bridge

Am Aussichtspunkt vor der Golden Gate Bridge

Ich stehe an einem Aussichtspunkt. Der eisige Wind bläst mir ins Gesicht. Vor mir erstreckt sich die Golden Gate Bridge. Ich schaue mir das Bauwerk an, dessen Abbild ich schon millionenfach gesehen habe. Und obwohl ich immer schon hier hin wollte, selbst den Flug gebucht und das Auto nach San Francisco gefahren habe, frage ich mich wie es wahr sein kann, das ich wirklich hier stehe und glaube mir selbst kaum.

Die Brücke über die Meeresöffnung ist riesig; viel größer als ich es je erwartet oder von Fotos oder Meterangaben erahnen hätte konnte. Hier stehe ich nun, völlig überwältigt, an einem Punkt, der bis vor nicht allzu langer Zeit das Ende der bekannten Welt darstellte und habe schon Pläne weiterzureisen.

Glücklich hier zu sein.

Glücklich hier zu sein

Mit Musik auf den Ohren und einem Kaffee in der Hand mache ich mich auf zu einem Spaziergang, von dem ich mir vornehme, jeden einzelnen Schritt und Atemzug voll zu genießen. Ich werde die Brücke zu Fuß überqueren. Der Weg zieht sich und so habe ich genug Zeit den Ausblick auf die Stadt, die Bucht und die Schiffe und Robben unter mir zu genießen.

Aussicht auf die Stadt

Aussicht auf die Stadt

Mit dem Wetter habe ich echt Glück. Denn oft liegt die Bucht in dichtem Nebel und die Brücke bleibt verborgen in den Schwaden. Heute ist der Himmel klar, doch der eiskalte Wind steht schief. Erst auf der anderen Seite erfahre ich, dass ich gerade fast drei Kilometer zurückgelegt habe und heute kein Bus zurück fährt. Also gehe ich das Ganze wieder zurück.

Auf der anderen Seite der Brücke

Auf der anderen Seite der Brücke

Die 230 Meter hohe Brücke ist der beliebteste Ort für Suizide weltweit, weshalb die zahlreichen „No U-Turn“-Schilder (bedeutet in Deutsch etwa „keine Umkehrmöglichkeit“) ein Hauch morbider Erheiterung in mir hervorrufen.

No U-Turn - Umkehr verboten

No U-Turn – Umkehr verboten

Toll, ’ne Brücke… was gibt’s sonst?

Da ich nur zwei Tage in San Francisco war, hab ich einiges ausgelassen, was wohl sonst auf dem Pflichtprogramm von Touristen steht. Den Weg zur Fisherman’s Wharf und all ihren Läden, Märkten und Fisch-Restaurants habe ich standesgemäß mit einem Cable Car (Straßenbahn) zurückgelegt und ich bin die hölzernen Stufen zum Coit Tower hinaufgestiegen für den zweitbesten Ausblick über die Stadt. Den besten gibt es vom Alamo Square, mit dem Postkarten-Motiv der viktorianischen Häuser.

Alamo Square in San Francisco

Alamo Square in San Francisco

San Francisco steile Hügel

San Franciscos steile Hügel werden per Cable Car erklommen

Blick auf San Fran vom Coit Tower

Blick auf San Fran vom Coit Tower

Dafür standen auf meiner Liste ein paar Dinge, die nicht zum Standardprogramm gehörten. Dazu gehörte ein Besuch der Samovar Tea Lounge, wo sich Schriftsteller wie Leo Babauta und Tim Ferriss die Klinke in die Hand geben. Außerdem wollte ich mir ein Sandwich von Ike’s Place nicht entgehen lassen (Danke, Julia); meine Wahl fiel auf „The name of the girl I’m dating“ (dt. „der Name meiner Freundin“), welcher dann auf das Sandwich gedruckt wurde. Verspeist habe ich es dann neben Haschkeks-Ständen im Dolores Park. Die Hippie-Bewegung, die hier ihren Anfang nahm, ist also noch nicht ganz tot. Am nächsten Tag habe ich dann erfahren, dass zeitgleich eine Straße weiter jemand auf offener Straße erschossen wurde. Deshalb also die ganze Polizei (USA! USA! USA!).

Alcatraz. Geschlossen dank dem Shutdown.

Alcatraz. Geschlossen dank dem Shutdown.

Um die interessante Geschichte San Frans kennen zu lernen habe ich mich auf die bisher unterhaltsamste Walking Tour von Wild SF begeben. Während man auf dem Spaziergang durch Downtown und China Town allerhand Legenden und Geschichten hört (teilweise in Liedform) spielt man Spiele und besucht Orte abseits der altbekannten Sehenswürdigkeiten.

Allzulange mag man jedoch nicht Zentrum (Downtown) verweilen. Denn wenn abends die Banker und Geschäftsleute in ihre Vorstädte zurückpendeln, offenbart sich die dunkle Seite einer Gesellschaft, die sich schlecht um ihre Schwachen kümmert. Nirgends auf der Welt habe ich so viele Junkies mit Nadeln im Arm, Prostituierte (in Kalifornien illegal) und Obdachlose, die heulend und schreiend in Ladeneingängen liegen, gesehen wie in Downtown San Francisco bei Nacht.

San Franciscos Rathaus bei Nacht

San Franciscos Rathaus bei Nacht

Lombard Street

Lombard Street

Auf meiner Reise durch Kalifornien habe ich eine nötige Erdung erfahren und mir ist wieder bewusst geworden, warum ich all dies tue. Mit dem letzten Sonnenuntergang vom Stow Lake Hill im Golden Gate Park habe ich das Gefühl, dass ein großes Kapitel meiner Reise zu Ende geht. Doch ein neues wird schon morgen beginnen. Auf einer Insel, 4000 km vom nächsten Festland entfernt.

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Die ganze Westküsten-Serie:

West Coast 0 – Grenzen verschieben wie Pioniere
West Coast I – Vom Regen ins Café in Seattle
West Coast II – Seltsam bleiben in Portland
West Coast III – Highway 1 Road Trip
West Coast IV – Das goldene Tor in San Francisco

Golden Gate Bridge vom Coit Tower aus

Golden Gate Bridge vom Coit Tower aus